RUBIKON: Impuls: „Auf Augenhöhe“ (Gerald Hüther am 17. Mai 2019 in Hannover)

   

Rubikon

 

Published on Jun 29, 2019

Auf Augenhöhe

„Wollen wir, dass unsere Kinder gesund und glücklich heranwachsen, müssen wir aufhören, sie zu erziehen“, meint Rubikon-Beiratsmitglied Gerald Hüther.

von Birgit Assel

„Wer sich seiner eigenen Würde bewusst geworden ist, macht keinen anderen mehr zum Objekt seiner Belehrungen, Ansichten, Maßnahmen und Bewertungen.“ Ein Schlüsselsatz in dem Vortrag von Gerald Hüther auf dem Kongress „Würde und Demokratie im Zeitalter der Digitalisierung“, der am 17. Mai 2019 in Hannover stattfand. Nehmen wir diesen Satz ernst, so hat er revolutionären Charakter. Der Schulzwang wäre obsolet; Ideologien würden ihre Macht verlieren; Bestrafungen ergäben keinen Sinn mehr und Lob und Tadel hätten ihre Wirkung verloren — ein Paradies, von dem wir bisher nur träumen können.

Wie wäre es, wenn wir dort anfangen, wo Veränderungen schon jetzt möglich sind? Wir könnten zum Beispiel als erstes aufhören, unsere Kinder zu Objekten zu machen, indem wir sie nicht mehr erziehen. Wenn die Stimme junger Menschen schon auf gesellschaftlicher und politischer Ebene nicht gehört wird — ihr NEIN keine Relevanz hat — so ist es umso notwendiger, dass sie in der kleinsten Zelle unseres gesellschaftlichen Lebens, der Familie, gewürdigt und respektiert wird.

Wenn wir die Erwartung haben, dass uns Menschen — egal welchen Alters, welcher Herkunft und welcher Hautfarbe — würde- und respektvoll begegnen, dann wird es höchste Zeit, dass wir unsere Kinder so behandeln, wie wir selbst gerne behandelt werden möchten. Jegliche Form von Erziehung ist würde- und respektlos und damit können wir sofort aufhören. Dafür brauchen wir keinen politischen Wandel, sondern nur die Liebe für uns selbst und für unsere jungen Menschen.

In einer Gesellschaft, in der junge Menschen keine politische Stimme haben, weil sie als minderjährig gelten, was auch gleich zu setzen ist mit minderwertig, wird es keinen Wandel der alten Herrschaftsstrukturen geben.

Eine Gemeinschaft braucht ein gemeinsames Anliegen, so Gerald Hüther, wenn sie eine Veränderung will. Dazu gehört der Abbau von Hierarchien, um sich auf Augenhöhe begegnen zu können: ich bin ich und du bist du — wir sind nicht gleich und dein Anderssein und mein Anderssein ist eine Bereicherung für uns beide.

Es ist ein gedanklicher Irrtum, wenn wir glauben, eine Veränderung geschieht erst dann, wenn möglichst viele Menschen gleichzeitig daran mitwirken. So hat Wandel noch nie funktioniert.

„Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann — tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.“ (Margret Mead).

Für ein gemeinsames Anliegen reicht es, wenn eine kleine Gruppe von Menschen sich zusammenschließt und ihr Projekt in die Tat umsetzt. Und wenn viele solcher kleinen Gruppen mannigfaltige Anliegen verfolgen, an ganz unterschiedlichen Orten, in verschiedenen Ländern und Kulturen. Dann kommt vielleicht irgendwann der Zeitpunkt, an dem sich diese Gruppen berühren und etwas Neues, noch nie Dagewesenes in die Welt kommt. Das Format „Die Macher“ von KenFM zeigt, wie so etwas gehen könnte.

Die Welt ist, so Gerald Hüther, in den vergangenen 10.000 Jahren immer komplexer geworden und eine Ursache dafür ist das hierarchische Denken und Handeln. Inzwischen leben wir in einer so komplexen Welt, dass diese Hierarchien nicht mehr zeitgemäß sind — dieses „wir da oben“ und „ihr da unten“ fängt an sich aufzulösen. Das ist ein Zustand, der nur schwer zu ertragen ist: Die ehemals tragenden politischen Parteien sind in einem Auflösungsprozess, auch der einstigen vierten Macht im Staat — den Medien — vertraut kaum noch jemand. Das „Schiff“, auf dem wir uns befinden, hat keinen Kapitän mehr, der es in einen sicheren Hafen geleiten kann, und die ersten Menschen haben den Mut, von Bord zu springen. Die, die weiterhin auf diesem kurslosen Schiff bleiben, rufen nach einem neuen Kapitän — sie sind es nicht gewohnt, sich selbst zu organisieren. Da ist dann gerne die Rede vom „besorgten“ Bürger und der Ruf nach einer alten Ordnung wird laut.

„Der Kaiser ist nackt“. Diesen Anblick können viele nicht ertragen und rufen nach neuen Kleidern für die ausgediente Macht. Das sind dann Menschen, die im Außen Grenzen fordern, weil sie kein Gefühl für ihre eigene, ganz persönliche Grenze haben. Mich verwundert das nicht: zwar heißt es immer „Kinder brauchen Grenzen“, doch das NEIN eines jungen Menschen hat keine Bedeutung — jegliche Form von Belehrung, Bewertung und Erziehung überschreitet permanent die persönliche Integrität junger Menschen. Und Menschen, die ständig in ihrer Integrität verletzt wurden, haben auch kein Gefühl für die Integrität anderer Menschen.

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